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KAMMERMUSIK II (1991)
Für Flöte (auch Piccolo, Altflöte), Oboe (auch Englischhorn), Klarinette in Bb (Bassklarinette), Schlagzeug, Klavier, Violine, Viola und Violoncello
Hatte mich in meinen Stücken der letzten Jahre besonders der Aspekt der gegenseitigen "mikropsychologischen" Beeinflußung von beteiligten SpielernInnen interessiert, so beschäftigen mich derzeit Überlegungen, inwieweit soziale, zwischenmenschliche Beziehungen konzeptionell und strukturell ein Werk bestimmen können. Dabei ist es selbstverständlich, daß diese Beeziehungen nicht notwendigerweise programmatisch nachvollziehbar sein müssen. Die Musik selbst soll weiterhin eine gleichsam autonome Qualität und Wirkung beinhalten. Ein gewisses utopisches Moment ist dabei durch die Aufführungsbedingungen selbst bedingt, denn idealerweise müßte diese Musik in der Aufführungssituation ihre immanenten Beziehungen widerspiegeln, was nur ohne einen Dirigenten möglich wäre. Der (aus anderen Gründen) notwendige Grad an funktionaler Komplexität aber verhindert die Realisierung solch eines Unterfangens. In der Problematisierung dieser Utopie liegt womöglich aber auch der Reiz einer Einstudierung und somit ein intendierter Aspekt des Ausdrucks.
KAMMERMUSIK II ist der zweite Versuch, einen konkreten Aspekt zwischenmenschlicher Beziehungen im Rahmen eines gleichzeitig selbständigen musikalischen Kontexts zu realisieren. Dem Stück liegt eine spezielle Dramaturgie von Beziehungen und Hierarchien zugrunde, wobei eine "Lösung" (oder ein Ziel) letztlich nicht intendiert ist. Das Stück könnte also theoretisch sein "Spiel" beliebig fortsetzen.
Der Hintergedanke solch einer Konzeption ist meine sich immer mehr verstärkende Überzeugung, daß der Begriff der zwischenmenschlichen Kommunikation eines unsrer primären Zeitprobleme ist (und weiterhin bleiben wird). Medienkultur und "Informations"-fetischismus (bzw. die gefährliche Gleichsetzung von Informationsspeicherung mit Information im Sinne von verarbeitetem Wissen) bedrohen meines Erachtens auf nahezu subversive Art und Weise eine Grundqualität menschlicher Existenz, was sich nicht nur in Entfremdung im weitesten Sinne, sondern auch in einer erschreckenden Oberflächlichkeit der Wahrnehmung und des sozialen Verhaltens äußert (ein Grund übrigens warum mein Anliegen nicht mit einfachereren Mitteln realisierbar ist). Fatalerweise geschieht dies bei einer faktisch exponentiell ansteigenden Komplexität unsrer Existenz. Gerade meine derzeitigen Erfahrungen in einem aufstrebenden Land der sogenannten "Dritten Welt", wo man von der agrarisch-animistischen Dorfkultur mehr oder minder in das Medienzeitalter katapultiert worden ist, haben mein Anliegen vehement beeinflußt.
Diese Überlegungen bilden den ideellen Hintergrund für KAMMERMUSIK II, sind aber - und dies soll aus naheliegenden Gründen nochmals betont werden - keineswegs als eindeutig programmatisch nachvollziehbar intendiert, weil dadurch unter anderem die Komplexität bzw Vielfalt der Wahrnehmung trivialisiert werden würde. Dieser Begleittext ist somit auch keine Höranleitung, sondern eine kurze Skizzierung meiner Motivation, unter anderem um solch eine Musik zu komponieren.